Über begabte Mädchen, schwierige Jungs und den wahren Unterschied zwischen Männern und Frauen
Besprechung von
Susan Pinker:
Das Geschlechterparadox
Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung Band 748, Bonn, 2008
Seit Jahrzehnten bemühen sich deutsche PolitikerInnen den Mädchen- und Frauenanteil in männerdominierten Bereichen zu erhöhen. Anfang der 80er Jahre war es die Aktion „Mädchen in Männerberufe“, dann kamen Frauenförderpläne und Quoten der verschiedensten Art; „Girl's Days“ wurden angeboten, weil das cool klang, Mentorinnen sollten Frauen den Weg in die Führungsetagen ebnen. Die Erfolge waren gering. Der Frauenanteil in Führungspositionen und Männerberufen stieg nur mäßig. Grund genug, grundsätzliche Fragen zu stellen: Stimmen vielleicht die Ziele nicht? Wollen Frauen gar nicht in Männerbereiche eindringen?
Schon in den 80er Jahren gab es eine lebhafte Diskussion über Gleichheits- versus Differenzfeminismus, also darum, ob Frauen gleichgestellt oder in ihrer Verschiedenheit von Männern anerkannt, aber aufgewertet werden sollen. Die Frauenpolitik der Parteien hat diese Kontroverse schnell zugunsten der Gleichheit entschieden. Sinnfälligstes Beispiel hierfür ist die 50% Quote, wonach alle qualifizierten Arbeitsplätze zu 50% mit Frauen besetzt werden sollten. Zwar setzte das Gender Mainstreaming einen anderen Akzent, sollte doch vor Einführung einer neuen Maßnahme geprüft werden, ob Frauen und Männer davon unterschiedlich betroffen sein würden und wenn ja, entsprechende Korrekturen vorgenommen werden.(26ff) Diese hatten jedoch ebenfalls im Wesentlichen die Gleichstellung von Frauen mit Männern zum Ziel.
Lediglich eher verhaltene Bestrebungen in den 80er Jahren, angeregt von Frauenbeauftragten und Gewerkschafterinnen, den geschlechtsspezifisch segregierten Arbeitsmarkt zu akzeptieren, aber die Vergütung in Frauenberufen zu verbessern, deren tarifliche Eingruppierung neu zu bewerten, gingen andere Wege. Allerdings wurden diese Bemühungen sehr schnell auf Eis gelegt. Heute fühlt man sich durch die Kämpfe der ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen an die damaligen Forderungen erinnert.
Hat die Gleichstellungspolitik einen Denkfehler gemacht?
Susan Pinker hat diese Ausgangssituation nicht ruhen lassen. Sie greift einen Begriff aus der Wirtschaft auf, indem sie es als kontraintuitiv, als Geschlechterparadox bezeichnet, dass Frauen (und Männer) in ihrem Verhalten nicht den Erwartungen entsprechen. Männer verkörpern ihrer Meinung nach nicht ein „neutrales Standardgeschlecht“, an das Frauen herangebracht werden müssen und können.
In einer für US-amerikanische WissenschaftlerInnen typischen lockeren, gut lesbaren, lebendigen, manchmal etwas redundanten Art referiert sie geschlechtsspezifische Unterschiede in vielen Bereichen:
- Die Ausprägung des IQ sieht in den Extremen für die Geschlechter unterschiedlich aus, d. h. es gibt sowohl mehr Männer mit überdurchschnittlichem als auch mit unterdurchschnittlichem IQ.
- Mädchen erbringen seit Jahren in der Schule die besseren Leistungen, was nicht auffiel, als Frauen in den beiden Dritteln des 20. Jh.s früh heirateten und die Schule verließen. Heute sind US-amerikanische Mädchen motivierter, strebsamer und haben mehr Selbstbewusstsein.
- Bei der Selbsteinschätzung dagegen liegen Männer vorn, bisweilen überschätzen sie sich, ihr Selbstvertrauen hat dann nur wenig mit ihrer tatsächlichen Leistung(26ff)sfähigkeit zu tun. Frauen dagegen kommt es in erster Linie darauf an, aufgrund ihres Könnens und ihrer inneren Qualitäten ernst genommen zu werden.
- Bei einem von kognitiven PsychologInnen aus Cambridge konstruierten Empathie-Quotienten zeigt sich die Dominanz von Männern bei niedrigen, die der Frauen bei hohen Werten. Pinker spricht sogar von emotionaler Ahnungslosigkeit von Männern.
- Offene Konkurrenz steigert männliche Leistung, senkt die der Frauen.
- Bei der Berufswahl setzen Frauen andere Prioritäten. Sie tendieren zu menschenorientierten Tätigkeiten, wollen einen nützlichen Beitrag für die Gemeinschaft leisten, sind intrinsisch motiviert, während Männer von hohen Verdienstmöglichkeiten und großen Aufstiegschancen angesprochen werden.
Aber Pinker referiert nicht nur psychische Und Verhaltensunterschiede zwischen den Geschlechtern. Ihr Hauptaugenmerk richtet sie auf biologische Differenzen:
- Das weibliche und männliche Gehirn unterscheidet sich nicht nur hinsichtlich der Größe, sondern auch in der Ausprägung einzelner Bereiche, womit Pinker u. a. die höhere Sprachkompetenz von Frauen erklärt.
- Hormonelle Unterschiede sind ein weiteres Gebiet. Testosteron wird mit männlicher Dominanz und Risikofreude verknüpft.
- Stress löst bei Männern und Frauen im Durchschnitt andere neuroendokrinne Reaktionen aus.
- Besonders geht Pinker auf Mütter und ihr Verhältnis zu Säuglingen ein. Das Stillen machen die dabei ausgeschütteten Hormone zu einem lustvollen Erlebnis für Frauen. Auf Bilder ihrer Säuglinge reagieren Hirnregionen von Müttern ähnlich wie bei romantischen Liebesgefühlen.
Diese biologischen Fakten dienen ihr als Erklärung dafür, dass es bei menschlichen Entscheidungen unterschiedliche Katalysatoren gebe, von denen viele neurologische und hormonelle Ursachen haben, während andere bestimmte Arbeitsbedingungen widerspiegeln, die auf den männlichen Standard zugeschnitten sind. Letztere waren Pinker jedoch nie mehr als, wenn überhaupt, einen Nebensatz wert. Völlig unverständlich ist dann auch ihre Behauptung, die Mischung dieser Katalysatoren, also der biologischen wie der männerzentrierten gesellschaftlichen, erzeuge den wahren Unterschied zwischen Männern und Frauen. Der Wahrheitsgehalt von biologischen, also naturgegebenen und sozialen, also veränderbaren Faktoren ist ein völlig anderer. Daran müsste sich die Frage anschließen, wie eine Gesellschaft mit den biologisch bedingten Unterschieden umgeht, welchen Stellenwert und welche Bewertung sie ihnen zukommen lässt.
Die Antwort klingt bei Pinker an, wenn sie meint, irgendwann einmal würden die Fähigkeiten, die statistisch häufiger bei Frauen auftreten, wie Empathie und Altruismus, als vorteilhaft und genauso wertvoll angesehen, wie diejenigen, die bei Männern dominieren. Teile der Wirtschaft haben dies offenbar schon verstanden, zumal sich gezeigt hat, dass Frauen mit ihrem Arbeitsleben zufriedener und glücklicher sind als Männer. Schließlich weist sie darauf hin, dass die Tatsache, dass berufliche Tätigkeiten, für die sich im Durchschnitt mehr Männer interessieren, höher bewertet werden als menschenzentrierte, ungerecht ist.
Diese Andeutungen eröffnen die Möglichkeit, mit Pinkers Buch konstruktiv zu arbeiten. Es wäre schade, würden ihre Thesen lediglich einen Pingpong-Effekt auslösen und eine Gegenreaktion in Richtung Gleichheitsfeminismus und Gleichstellungspolitik erzeugen. Vielmehr würde es sich für FeministInnen und Frauen- und GenderpolitikerInnen sehr lohnen, durchzuspielen, welcher gesellschaftlicher Veränderungen es bedarf, um biologische Geschlecherdifferenzen gleichwertig nebeneinander gelten zu lassen, wie und wo die verschiedenen Fähigkeiten einzusetzen sind etc. Wenn der weibliche Lebensstil grob gesprochen eine höhere Zufriedenheit und mehr Glück verspricht, welche Konsequenzen ergeben sich dann für den männlichen Lebensstil und eine Gesellschaft, die diesen favorisiert?
Sich der von Pinker vorgestellten Ergebnisse in dieser Weise anzunehmen, heißt aber nicht, dass Kritik an ihrem Buch unter den Tisch fallen soll. Kritisch anzumerken ist:
- Es kann nicht angehen, dass biologische Unterschiede anhand von Einzelbiographien „fragiler“ Jungen (solche mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung = ADHS, Autismus, Legasthenie) und von Lebenswegen „disziplinierter“ Mädchen (solchen, die in der Schule brillierten, in einen Männerbereich aufstiegen, diene dann verließen, um menschenorientiert zu arbeiten, sei es in der eigenen Familie, sei es in einem entsprechenden Beruf. Mit Einzelschicksalen lässt sich nicht wissenschaftlich argumentieren. Was ist mit männlichen Berufsaussteigern oder -abbrechern? Welche hormonellen Prozesse laufen ab, wenn Väter Säuglinge betreuen? Darauf gibt Pinker keine Antworten.
- Schade ist auch, dass Pinker nur berufsabbrechende Mütter vorstellt und nicht auch Frauen, die obwohl kinderlos einen Berufswechsel in einen Bereich vollzogen, dem sie mehr Sinn abgewinnen konnten. So rückt Pinker nahe an diejenigen, die in Familienarbeiten den wahren Frauenberuf erkennen.
- Wenn Pinker über die Beziehungslosigkeit weiblicher Führungskräfte spricht, hat sie dabei nur heterosexuelle Beziehungen im Auge, ein lesbischer Lebensstil wurde von ihr nicht erfragt.
- Am problematischsten ist jedoch, dass Pinker die Biologie verabsolutiert. Zwar konstatiert sie, dass in Ländern, in denen Frauen die größten Wahlmöglichkeiten haben, die geschlechtsspezifische berufliche Segregation am stärksten ist, in ihrer Erklärung hierfür bleibt sie vage. Gerade wenn die Bedeutung der Biologie geklärt werden soll, müssen solche Differenzen analysiert werden. In den 70er und 80er Jahren haben Feministinnen ethnologische Forschungsergebnisse verschlungen, die zeigten, wie Geschlechtsrollen in anderen Gesellschaftsformationen organisiert waren/sind. Konkurrenz und Fürsorglichkeit waren nicht mehrheitlich dem einen oder anderen Geschlecht zuzuordnen; bisweilen kehrten sich die Verhältnisse sogar um.
Pinker reißt wichtige Fragen an. Ihre Antworten bedürfen der sorgfältigen wissenschaftlichen Überprüfung. Politisch Engagierte sollten aber schon jetzt die Weichen anders stellen als bisher, als Frauen lediglich an männliche Verhaltensweisen herangeführt werden sollten.
Ursula Müller
13.6.2009