Wenig grundsätzliche Kritik. aber neue Blicke auf Sorgearbeit
Besprechung von
Christine Bauhardt und Gülay Çalğar (Hrsg.):
Gender and Economics - Feministische Kritik der politischen Ökonomie
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2010
Wer sich von der Aufsatzsammlung grundsätzliche Kritik erwartet, wird enttäuscht. Zwar erhebt das Buch den Anspruch, nicht nur Blindstellen und geschlechtsspezifische Asymmetrien in Theorie- und Modellbildung zu benennen, sondern auch Anhaltspunkte für alternative Theorien, Modelle und Politiken herauszuarbeiten, letzteres ist eher die Ausnahme. Offenbar gibt es in der Arbeit feministischer ÖkonomInnen keine wachstumskritische Position, wie sich der informativen Zusammenfassung wichtiger Beiträge von Irene van Staveren entnehmen lässt. Auch auf die alte Kritik an der Nicht-Berücksichtigung unbezahlter Arbeit im Bruttoinlandsprodukt (BIP) geht nur Mascha Madörin indirekt ein, indem sie statt des BIP Bruttowertschöpfung anwendet und dadurch unbezahlte Arbeit in Haushalten einbezieht.
Mit am weitesten in ihrer Kritik gehen Adelheid Biesecker und Sabine Hofmeister mit ihrer Begrifflichkeit der (Re-)Produktivität. Leider bewegen sie sich auf einem so hohen Abstraktionsniveau, geben keine Hinweise auf konkrete Anwendungen oder Beispiele, sodass sich praktische Anschlussstellen aus der Lektüre nicht erschließen.
Im Folgenden gehe ich nur auf Artikel ein, die mir besonders lesenswert erscheinen.
Eindrucksvoll belegt Friederike Maier ihre Kritik an wirtschaftspolitischen Konzepten und Maßnahmen der EU. Maier prangert an, dass das Schwergewicht der EU auf neoliberalen Zielen wie Haushaltskonsolidierung und Liberalisierung des Arbeitsmarkts liegt und weniger auf dem Ausbau familienbezogener öffentlicher Dienste und besser bezahlter Arbeitsplätze, gerade auch für Frauen. Im Gegenteil gehen die Maßnahmen dahin, Anreize zu schaffen, auch schlecht bezahlte Jobs zu akzeptieren. Gleichstellung dagegen hat in der EU an politischer Relevanz verloren. Konsequent fordert Maier daher eine politische Auseinandersetzung über die Weiterentwicklung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells orientiert an Skandinavien.
Großen Gewinn kann die Leserin/der Leser aus den Texten zur Sorgearbeit ziehen. Mascha Madörin grenzt zunächst Care-Arbeit von nicht-sorgenden Dienstleistungen ab, belegt dann mit Daten aus der Schweiz sowohl das Ausmaß unbezahlter Arbeit im Haushaltssektor, als auch den Strukturwandel in der Produktion und auf dem Arbeitsmarkt, der unter anderem durch einen Anstieg bezahlter Care-Arbeit im Gesundheits- und Sozialwesen gekennzeichnet ist.
Shahra Razavi konzentriert sich auf unbezahlte Care-Arbeit und zeigt, wie in Krisenzeiten Kürzungen im Sozialetat durch Intensivierung unbezahlter weiblicher Arbeit abgefedert werden; Frauen fungieren als „shock absorber“ (Schockdämpferinnen). Gleichzeitig haben diejenigen, die diese Arbeit leisten sollen, oft Schwierigkeiten, für sich selbst und die von ihnen Abhängigen Sozialleistungen zu bekommen. Dies belegt sie unter anderem durch Analysen der Gesundheitsreform in China und der Situation in Ländern südlich der Sahara. Dass soziale Absicherung auch anders gehen könnte, zeigen ihre Beispiele aus Südkorea, Chile, Südafrika, Mexiko. Besonders interessant, weil auch relevant für Deutschland, ist ihre Gegenüberstellung von finanzieller Unterstützung für arme Familien mit weiblichem Familienoberhaupt, die an Bedingungen geknüpft sind (Mexiko) verglichen mit solchen, die auf Bedingungen verzichten (Mozambique, Südafrika) und wo das Geld dennoch sinnvoll ausgegeben wird. Razavi stellt die weit verbreitete und tief sitzende Angst fest, Arme würden Gelder für persönlichen Konsum, zum Beispiel von Bier, ausgeben, wenn diese bedingungslos vergeben werden. Sie fordert auch dazu auf, in Zeiten, in denen die Bekämpfung von Kinderarmut hohe Priorität genießt, genau hinzuschauen, was Hilfsprogramme für Frauen vorsehen und was mit deren Rechten geschieht.
Für die politische Diskussion in Deutschland ist auch der Text von Ingrid Robeyn über die Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens auf Frauen und das Geschlechterverhältnis wichtig. Sie fragt unter anderem nach der Einkommensentwicklung und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Verbesserungen für Frauen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen erscheinen ihr eher zweifelhaft, vor allem angesichts der hohen Steuern, die zu dessen Finanzierung erhoben werden müssten und einem daher möglichen Rückzug staatlicher Finanzierung von Kinderbetreuung und Pflegeeinrichtungen. Verschlechterungen für Frauen sind auch möglich.
Interessant sind die von Diane Elson zusammengetragenen empirischen Ergebnisse zu Geschlechter(un)gleichheit in Beschäftigungsverhältnissen vor allem in außereuropäischen Ländern. Diese zeigen, wie stark der bread winner bias, das immer noch kursierende Vorurteil, dass Männer stets Familienernährer seien und daher eine Arbeit eher verdienten als Frauen, die Erwerbssituation von Frauen beeinflusst.
Der bread winner bias wirkte sich auch in der Subprime Krise aus, die Brigitte Young untersucht hat. Frauen, die sich den Traum vom eigenen Haus mittels Krediten erfüllen wollten, hatten für diese höhere Zinsen und Gebühren zu zahlen und bekamen häufiger Subprime Kredite und Hypotheken als Männer. Als Folge der Krise waren sie stärker von Verschuldung und Zwangsvollstreckung betroffen.
Die Texte sind für eine scientific community geschrieben, sechs davon auf Englisch, zum Teil mit nicht erklärten Abkürzungen. Hier wünscht man/frau sich, die Herausgeberinnen oder der Verlag hätten ein erweitertes Spektrum von LeserInnen vor Augen gehabt (zumal sich einige Autorinnen ausdrücklich auf Aktivistinnen und Politikerinnen beziehen) und wäre diesem mit einigen erklärenden Fußnoten und Übersetzungen englischer Fachbegriffe entgegen gekommen, sodass die Inhalte eine größere Verbreitung und Diskussion erfahren könnten.
17.01.2011