Patriarchatsstärkende Strategien und patriarchatsschwächende Verhaltensweisen  junger Männer

Besprechung von
Ulrike Prattes:
Junge Männer und Feminismus
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2011

Unter dem Titel „Junge Männer und Feminismus“ hat Ulrike Prattes 2011 empirische Forschung veröffentlicht, die sie als sozialanthropologischen Blick auf Männlichkeitskonstruktionen im Kontext Österreichs nennt. Bei solchen Büchern ist man/frau versucht, neugierig gleich das Kapitel der Ergebnisse aufzuschlagen und die theoretische Verortung zu ignorieren. Das wäre bei diesem Buch ein großer Verlust. Indem Prattes ihre beiden theoretischen Säulen, die Kritik von women of color am Feminismus und Konzepte kritischer Masculinities Studies ausführlich und sehr gut lesbar referiert, vermittelt sie ausgesprochen spannende theoretische Positionen. Die Kritik an einem Frauen verallgemeinernden, die Differenzen und Machtunterschiede unter ihnen ignorierenden Feminismus füllt die Forscherin mit Inhalt. Zum einen geht sie auf historische Beispiele von weißen Frauenrechtlerinnen in den USA ein, die ihre Privilegien sicherten, indem sie Schwarze Frauen diskriminierten, zum anderen beschreibt sie die herrschaftssichernde Funktion eines vereinheitlichenden Bildes von „Dritte-Welt“-Frauen, das einen westlichen Maßstab anlegt und diese Frauen als „noch nicht so weit“ hinstellt, eine Haltung, die Prattes ethnozentristisch nennt. Damit leitet sie über zu einem die Vielfalt innerhalb eines Geschlechts systematisch berücksichtigenden Konzept, in ihrem Fall das verschiedener (hegemonialer) Männlichkeiten. Sie geht davon aus, dass Männlichkeiten sozial konstruiert, also veränderbar  sind. Hegemoniale Männlichkeit besteht extern als Institutionalisierung der Herrschaft über Frauen und intern als Hegemonie einer Elite über alle anderen Männer. Die gesamte Untersuchung wird begleitet von der Aussage, dass Frauen durch ihre Sozialisation im Patriarchat wesentlich an der Konstruktion von Männlichkeit beteiligt sind (48, 61, 98). Dafür wurde der Begriff emphasized femininity geprägt. Diese kommt bei den DiskutantInnen von Prattes ebenso vor wie differenzierende Männlichkeiten. Dabei ist ihr Sample homogen und stammt nur aus einer sehr schmalen Bevölkerungsschicht von 25- bis 30-Jährigen, Mittelschichtspersonen, die studieren bzw. studiert haben und in österreichischen Gender-Lehrveranstaltungen mit feministischen Inhalten konfrontiert wurden. Die anhand  von festgelegten Fragestellungen moderierten Diskussionen fanden in drei Gruppen statt, wovon eine rein männlich war bis auf Kamerafrau und Protokollantin; in der zweiten wurden auch diese Funktionen von Männern ausgeübt und die dritte bestand aus je drei Frauen und Männern, die Forscherin moderierte, Kamera und Protokoll lagen in Händen von Frauen. Schade, dass in dem 125 Seiten starken Band die diskussionsgenerierenden Anreize nicht abgedruckt wurden. Wiedererkennungserlebnisse hat man/frau beim Lesen der von Prattes herausgearbeiteten 12 herrschaftserhaltenden Strategien der Marginalisierens, Verleugnens, Verschiebens. Diese nicht neue Verhaltensweisen ergänzt Prattes um drei weitere, die sich ihrer Meinung nach aus einer veränderten Situation ergeben haben. Heute habe das Patriarchat noch enormen Einfluss auf Denken und Handeln, gleichzeitig werde aber daran gerüttelt. Dies mache neue, die Geschlechterhierarchie legitimierende Strategien erforderlich, die sich nach Prattes dadurch auszeichnen, dass sie sich die asymmetrische Geschlechterordnung einverleiben, indem sie sich zum Beispiel feministische Projekte aneignen, Selbstdarstellung betonen und andere Männer abwerten. Die Mehrheit der Gruppenteilnehmer akzeptiert männliche Privilegien, reproduziert sie, fühlt sich bei antipatriarchalen Strömungen unwohl und sanktioniert diese. Daneben beobachtete Prattes bei einer Minderheit ihrer Diskutanten auch Potenziale der  Veränderung, indem diese aktiv für feministische Anliegen eintreten, im positivsten Fall, weil sie sich selbst im Patriarchat unwohl fühlen und weniger aufgrund von Anforderungen von außen. Sie kritisieren männliche Privilegien, entsolidarisieren sich mit anderen Männern, verzichten auf Seilschaften und wenden sich radikal von sexistischen und patriarchalen Haltungen ab. Prattes übersieht dabei nicht die Gefahr, dass solche Männer das Ruder übernehmen. Sie benennt die Gratwanderung zwischen Solidarität und Bevormundung. Besonders spannend sind Prattes' Beobachtungen, dass je nach Setting in den drei Gruppen andere Aspekte von Männlichkeit dominieren. In der reinen Männergruppe nimmt die Frage, ob es überhaupt eine patriarchale Struktur gebe, den größten Raum ein. In der gemischtgeschlechtlichen dagegen ging es überwiegend um Bedingungen für ein gemeinsames feministisches Projekt von Männer und Frauen. Dass diese Gruppe inhaltlich weiter gelangt ist, während die Männergruppe sich bis Diskussionsende nicht bewegt hat, führt Prattes darauf zurück, dass in den Männergruppen kompetitive Streitgespräche dominierten.

Das Buch könnte gut in gemischten politischen Gruppen eingesetzt werden, die sich mit dem Thema Feminismus und/oder ihrem Arbeitsklima beschäftigen möchten. Die Beteiligten könnten sich fragen, welche Strategien ihnen aufgefallen sind und gemeinsam Umgangsformen und Argumente zusammentragen, die Patriarchatsstützung zugunsten von Patriarchatsschwächung abbauen.

16.9.2012