Gewerkschaftliche Frauenarbeit: verblüffend und manchmal Zorn gegen Gewerkschafter erregend

Besprechung von
Sibylle Plogstedt:

„Wir haben Geschichte geschrieben“ Zur Arbeit der DGB-Frauen (1945-1990)
Psychosozial-Verlag, Gießen, 2013

 Um das anspruchsvolle Zitat des Titels „Wir haben Geschichte geschrieben“ zu belegen, bedarf es mehr als Geschichte aus der Sicht von Gewerkschafterinnen zu schreiben, was Sibylle Plogstedt als Absicht ihres Buchs angibt. Denn dafür gilt es, den wirtschaftlichen und politischen Hintergrund zu skizzieren, die Gesetzeslagen und deren Reformbemühungen allgemein zu beschreiben, nicht nur für Deutschland, sondern auch im Rahmen von EG-Gesetzen und -Richtlinien. All das leistet Sibylle Plogstedt und stellt damit Themen wie Notstandsgesetze, Vietnamkrieg, Hungerkatastrophe in Biafra, der Einmarsch sowjetischer Truppen in Prag und Antikommunismus breiter als nur aus Gewerkschaftsperspektive dar. Frauenpolitische Themen stehen naturgemäß im Mittelpunkt, vor allem weibliche Erwerbstätigkeit. Schwerpunkte bilden dabei Lohngleichheit, eigenständige Rente,
Mutterschutz, Nachtarbeit, Ladenschluss. Über die gewerkschaftliche Zuständigkeit im engeren Sinn hinaus geht die Positionierung zur Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs, wozu die Meinungen unter den Frauen kontrovers waren. Das Verhältnis zur Neuen Frauenbewegung und zu Frauen- bzw. Gleichstellungsbeauftragten war ebenfalls nicht einheitlich, sondern teilweise von
Misstrauen und Konkurrenzängsten geprägt. Auseinandersetzungen gab es auch mit Kollegen. Während der 45 Jahre der alten Bundesrepublik gab es lange Zeit eine ablehnende Haltung zur Frauenerwerbsarbeit allgemein. Frauenfeindlichkeit, Sexismus und Mobbing seitens der Kollegen kam vor. Verständlich ist daher der Kampf für bessere innerorganisatorische Strukturen, die den Positionen von Frauen zu mehr Gewicht verhelfen sollten. Auch Verhaltensweisen von Frauen selbst werden angesprochen, teilweise problematisiert. Diese reichten von Loyalität gegenüber der Einheitsgewerkschaft bis hin zu mädchenhaftem sich klein Machen und Schweigen aus Protest etwa bei Bundeskongressen, wobei allerdings offen bleibt, ob dieses Verhalten auch als Widerstand wahrgenommen und wie damit umgegangen wurde.

Plogstedt bewältigt das umfangreiche Themengebiet, indem sie sich auf Protokolle aus Gewerkschaftsgremien und auf ihre Gespräche mit 17 Zeitzeuginnen stützt. Der Unsichtbarkeit, die politische Kämpferinnen nicht selten erfahren, begegnet die Autorin mit Portraits wichtiger Akteurinnen, die durchgängig im Buch platziert sind. Diese informativen Einschübe geben einen guten Einblick in die Realität des Lebens von Frauen in den jeweiligen Zeitabschnitten. Leider wurde für das Titelbild eine halb von hinten aufgenommenen, anonymen Arbeiterin gewählt, wo ein Foto wichtiger Gewerkschafterinnen besser zum Inhalt gepasst hätte.
So erfährt die Leserin/der Leser Interessantes, wenig Bekanntes und Verblüffendes. Etwa die Tatsache, dass die Frauen nicht selbst ihre Vertreterin im Vorstand des DGB bestimmen durften, sondern zuerst der Vorsitzende, Hans Böckler, hart und klar aus Gründen des Parteiproporzes eine CSU-Frau bestimmte. Seine Nachfolger entschieden ähnlich. Erst 1990 gelangte mit Ursula Engelen-Kefer erstmals eine SPD-Frau in den Vorstand, die zugleich auch für Frauen zuständig war. Auch die Ablehnung des Internationalen Frauentags als kommunistischer Einrichtung 1980 durch Gewerkschafterinnen ist eine wichtige Information. Das Durchhaltevermögen der Kämpferinnen für Frauenrechte im DGB belegt das Buch mit vielen Details, es kann daher nur bewundert werden.

Es ging Plogstedt um Lesbarkeit nicht nur in akademischen Kreisen. Das ist ihr geglückt, auch durch die Anekdoten, die sie immer wieder anführt. Allerdings sollte ihr Zielpublikum nicht auf Gewerkschafterinnen, Frauenöffentlichkeit und GenderspezialistInnen beschränkt sein, hat die Autorin doch immer wieder darauf hingewiesen, dass Männer in den Gewerkschaften, etwa in Publikationen, wenig bis gar nicht auf Anliegen ihrer Kolleginnen eingegangen sind. Daher sollten Gewerkschafter an erster Stelle genannt werden, wenn es um Personengruppen geht, an die sich das Buch wendet.

Im Interesse eines besseren Verständnisses wäre es hilfreich gewesen, wenn Plogstedt öfter einmal Kommentare abgegeben hätte, um damit auf Besonderheiten hinzuweisen. So trennt sie z. B. Forderungen nach einer besseren Repräsentanz von Frauen (im Betrieb und in den Gewerkschaften) nicht von inhaltlichen Forderungen zur Verbesserung der Lage von Frauen. Beides miteinander zu vermischen, ist heute leider Gang und Gäbe, wenn etwa die Frauenquote für Aufsichtsräte als notwendige Frauenfördermaßnahme gepriesen wird. Dabei geht es lediglich um einen höheren Frauenanteil in einem Gremium, zu dem die allerwenigsten Frauen je Zugang haben werden. Zudem müssen sich Aufsichtsräte am Ziel der Profitmaximierung orientieren, was oft mit einer wenig sozialen, schlimmstenfalls frauenfeindlichen Personalpolitik einhergeht.

Gewünscht hätte ich mir, dass die ausgezeichnete Definition von Emanzipation, die Heinz Oskar Vetter als DGB-Vorsitzender auf dem Bundesfrauenkongress 1971 gegeben hat, „Befreiung von gesellschaftlicher Abhängigkeit und Unterdrückung“, nicht nur zitiert, sondern besonders hervorgehoben worden wäre. Zumal derselbe sechs Jahre später, wieder auf einem Bundesfrauenkongress, meinte, auch Männer hätten es nötig sich zu emanzipieren. Damit vollzieht er einen Schwenk von einem gesellschaftlichen Problem hin zu individuellem Verhalten und liegt damit voll im Trend neoliberalen Denkens.

Plogstedt betont zu Recht immer wieder, wie aktuell gerade die Forderung nach gleiche Bezahlung bei gleichwertiger Arbeit noch heute ist, erwähnt allerdings den Gender Pay Gap mit keinem Wort. Gerade für diesen Kampf wäre es sehr hilfreich gewesen, hätte die Autorin nachgezeichnet, wie sich das Verständnis von gleichwertiger Arbeit in dem betrachteten Zeitraum gewandelt hat, um deutlich
werden zu lassen, wo heute anzusetzen ist.

Leider gibt es Dinge, die ärgerlich sind: Namen und Begriffe, die gar nicht oder erst einige Absätze oder gar Seiten später erläutert werden. Informationen, die einfach falsch sind, so die Behauptung, die Selbstbezichtigungskampagne zur Abtreibung in Frankreich sei in der Tageszeitung Le Monde veröffentlicht worden, wo es in der Wochenzeitschrift Nouvel Observateur geschehen ist. Oder das mit eugenischer Indikation überschriebene Kapitel, in dem es um die ethische Indikation geht, also
den Schwangerschaftsabbruch nach Vergewaltigung und nicht wegen eines zu erwartenden behinderten Kindes. Auch stimmt es nicht, dass Abtreibung in den 1970er Jahre mit Zuchthaus hätte bestraft werden können, da 1969 der Zustand von 1926 wieder hergestellt worden war und Zuchthaus- durch Gefängnisstrafen ersetzt wurden. Noch gravierender ist, dass immer wieder vom Nachtarbeitsverbot für Frauen die Rede, wobei dies ausschließlich Arbeiterinnen betraf. Dadurch werden Abschnitte unverständlich, in denen die unterschiedliche Situation von Arbeiterinnen und Angestellten thematisiert wird. Durch solche Fehler und Ungenauigkeiten wird die Leserin/der Leser auch gegenüber anderen Aussagen misstrauisch und tut gut daran, wichtige Behauptungen zu überprüfen. Das hätte durch ein qualifiziertes Lektorat, sei es beim Verlag, sei es von der Autorin selbst in Anspruch genommen, verhindert werden können.

Das Fazit dagegen, das Plogstedt zur Gewerkschaftlichen Frauenarbeit zieht, kann nur unterstrichen werden: Gewerkschafterinnen haben sich Themen angenommen, die das Arbeitsleben von Frauen betrafen und vor allem in diesen Bereichen Lobbyarbeit für die Gleichstellung von Frauen geleistet. Damit haben sie ein Feld besetzt, das von keiner anderen Frauenorganisation abgedeckt wurde. Ein
Zitat von Irmgard Blättel, der langjährigen Leiterin der Abteilung Frauen des DGB-
Bundesvorstandes, beschreibt politische Frauenarbeit sehr treffend: „Wir sollten unseren Zorn erhalten, aber auch den klaren Blick nach vorn.“

Ursula G. T. Müller, 9.2.2014