Linker Feminismus hat ein Gesicht und eine Stimme

Rezension von
Laurie Penny

Unsagbare Dinge Sex Lügen und Revolution,
Edition Nautilus, 2015,

Laurie Penny, die noch nicht 30-jährige Bloggerin, Journalistin, Feministin, Sozialistin aus Groß Britannien, ist im Juni auf Lesereise ihres Buchs „Unsagbare Dinge Sex, Lügen und Revolution“ und tourt durch deutsche Medien. Sie wird als derzeit wichtigste Feministin geradezu gehypt. Zu Recht?

Auch wenn frau/man mit Superlativen vorsichtig sein sollte, so ist sie, dank der medialen Popularität endlich eine, der zugehört wird, wenn sie

  • den Mainstream-Feminismus kritisiert, der sich die Karrierefrau als Heldin erkoren hat,
  •  nichts von einer Frauenquote in Vorständen hält,
  • Frauenemanzipation weder mit Erwerbsarbeit noch mit dem Gelingen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gleichsetzt, sondern fragt, warum frau das überhaupt wollen sollte
  • eine Vergewaltigungskultur in westlichen Industrieländern erkennt, in der Frauen Angst gemacht wird, sie dadurch in ihrem Verhalten eingeschränkt und kontrolliert,
  • den Backlash und Gegenaktivitäten am Beispiel Abtreibung aufzeigt.

Sie ist eine,

  • die sich auf (Literatur der) 1970er Jahre Feministinnen bezieht und nicht meint, was sie sagt, sei brandneu, so zum Beispiel ihre Analyse zur Funktion von Hausarbeit im Kapitalismus,
  • die die Anpassung benennt, der vor allem auf Frauen lastet und die mit psychischer Gesundheit gleichgesetzt wird, worunter viele (junge) Frauen leiden,
  • die die Situation von Männern im Patriarchat anspricht, deren Leiden an Männlichkeitsidealen in Zeiten, wo diese nicht automatisch mit Privilegien einhergehen, und die darauf hinweist, dass im Patriarchat und im Kapitalismus die wenigsten Männer Macht haben
    außer über Frauen und Kinder,
  • die aber deshalb nicht in Mitleid zerfließt, sondern Männer auffordert, sich mit sich selbst auseinander zu setzen und sie warnt, dass das weh tun wird und muss,
  • die Erschütterung auszulösen in der Lage ist, wenn sie Beispiele für Misogynie, also Frauenhass und Frauenfeindlichkeit, und (Cyber-)Sexismus anführt und zur Gegenwehr auffordert,
  • deren Bücher leicht zu lesen sind, die berühren, wenn sie persönliche Erfahrungen einbringt: von ihrer Magersucht, ihrer Vergewaltigung, ihrem Leben in besetzten Häusern, ihren Beziehungen zu Frauen und Männern, ihrer Dreiecksbeziehung und vielen persönlichen
    Kränkungen, die sie erfahren hat,
  • die damit keinen weit verbreiteten Individualismus bedienen möchte, sondern zeigen will, wie politisch das Persönliche ist,
  • die bei den Lesenden Erinnerungen an Ähnliches auslösen und damit Aha-Effekte erzielen kann,
  • deren Blick auf der sozialen Leiter von oben kommend nicht bei Mittelschichtsfrauen hängen bleibt, sondern tiefer geht, hin zu armen, farbigen, übergewichtigen Frauen, zu Alleinerziehenden, Sexarbeiterinnen, Transsexuellen,
  • die es krtiisch sieht, wenn Queers Rituale der „Katastrophe der Heterosexualität“ übernehmen, wenngleich sie dahinter einen Druck auf Queers annimmt, ohne dies zu begründen und zu spezifizieren,
  • die auffordert, sich gegen den gesellschaftlich wünschenswerten Trend zu stellen, der es erschwert, strukturell zu denken.

Und nicht zuletzt ist sie eine, die darauf beharrt, dass der Sozialismus und eine Revolution nur feministisch sein können. Sie träumt die alten Träume von einer besseren Welt für alle Menschen und sieht im Feminismus – in Händen meuternder Frauen - ein Werkzeug auf dem Weg dorthin.

Aber Nobody is perfect und Laurie Penny ist kein Nobody. Auch wenn ich Perfektionismus nicht unbedingt für erstrebenswert erachte, so wünsche ich mir doch, die Autorin würde gründlichere Herleitungen anbieten, wenn sie in ihrem Buch „Unsagbare Dinge Sex. Lügen und Revolution“ von den Auswirkungen des Neoliberalismus spricht, so wie sie es in „Fleischmarkt“ mit unbezahlter Hausarbeit und deren Funktion im Kapitalismus getan hat. Wer soll denn folgenden Satz verstehen können: „Im echten Leben gibt es romantische Liebe, Freundschaft, Partnerschaft, Sex und Abenteuer im Überfluss, und das wirklich Schreckliche an der sauber verpackten Liebe ist, dass sie so tut, als wären menschliche Gefühle Mangelware.“ Soweit so gut, aber dann fährt sie fort: „Auch in dieser Hinsicht macht der Neoliberalismus alles kaputt.“ Wie macht der Neoliberalismus das alles? Auch kann es Verwirrung auslösen, wenn sie Begriffe wie neoliberales Patriarchat, Spätkapitalismus, Profitdenken, kapitalistisches Patriarchat weitgehend synonym gebraucht.

Gar nicht konform gehen kann ich mit ihrer Position zu Sexarbeit und Sexarbeiterinnen. Indem sie die Arbeit der letzteren legalisiert und deren Bedingungen verbessert sehen möchte, schwimmt sie in einen politischen, z. T. auch sich feministisch verstehenden Mainstream. Diesen zeichnet ein Tunnelblick aus, der ausschließlich die Situation von Sexarbeiterinnen berücksichtigt, dabei zudem noch diejenigen ausblendet, die dazu gezwungen werden. Ebensowenig wie die öffentliche Diskussion hat Penny Freier im Blick. Würde sie diese hören, könnte sie erschreckend Frauenfeindliches vernehmen, ganz ähnlich wie sie es von Geeks und Nerds im Netz zitiert. Vor allem aber müsste sie entsprechend ihrer eignen Forderung die Strukturen betrachten, also die Frage nach der Funktion von Prostitution, die sexuelle Bedürfnisse von Männern befriedigt. Wenn sie sich schon auf Marx bezieht, indem sie romantische Liebe mit Opium fürs Volk vergleicht, sollte sie auch einen Blick auf sozialistische Analysen der Rolle von Prostitution für und neben der Institution Ehe riskieren. Dazu würde auch gehören, die enormen Profite des Frauenhandels, der Prostitution und der Industrie zu beleuchten, die Sexprodukte vielfältigster Art herstellt.

Dagegen kann ich mich ihrem Wunsch, Frauen mögen rebellieren und Nein zu den ihnen zugedachten Rollen und Verhaltensweisen sagen und Männer mögen das gleiche tun, anstatt die Schuld für ihre Machtlosigkeit bei Frauen/Feministinnen zu suchen, nur aus vollem Herzen anschließen.