Eine Entgegnung auf Heide Oestreichs Kommentar zu Luise Pusch
Rubrik: Glossen und KommentareZum Flugzeugabsturz des German Wings Airbusses am 23.3.2015 hatte Luise Pusch einen Artikel in der Zeitschrift Emma veröffentlicht, den die Journalistin Heide Oestreich in der taz am 30.3.kommentierte. Daraufhin schrieb ich eine Replik. Die drei Texte sind unten in ihrer chronologischen Reihenfolge abgedruckt.
Laut & Luise« ( in der Zeitschrift Emma )
Frauenquote fürs Cockpit
Die Fluggesellschaften reagierten schnell: Ab sofort soll auch bei uns die “Zwei-Personen-„ bzw. „Vier-Augen-Regel“ für das Cockpit gelten. Im Gespräch sind auch regelmäßige psychologische Tests für Piloten. Das meldeten heute die Nachrichten. Gleichzeitig meldeten sie: „Der Bundesrat verabschiedete am Freitag in Berlin das Gesetz, nach dem in Zukunft knapp ein Drittel der Plätze in den Aufsichtsräten von Großkonzernen von Frauen besetzt werden müssen.“ (Handelsblatt). Zu den Großkonzernen gehört auch die Lufthansa.
Ich möchte einen Vorschlag machen. Die Lufthansa sollte sich nicht nur für ihren Aufsichtsrat, sondern auch für ihre Cockpits eine Frauenquote verordnen. Höchste Zeit ist es allemal, denn zur Zeit gibt es bei der Lufthansa nur 6 Prozent Pilotinnen.
Die Selbstmordquote, so hörte ich bei meinem Radio- und TV-Marathon seit der Katastrophe in den französischen Alpen, ist bei Männern viermal so hoch wie bei Frauen. Die Lufthansa könnte also das Risiko, dass ihre Piloten das Flugzeug zu Selbstmord und vielfachem Mord missbrauchen, mit jeder Frau, die sie zur Pilotin ausbilden, ganz erheblich reduzieren.
Amokläufe und sog. Familienauslöschungen, die gern zu „erweitertem Selbstmord“ und „Mitnahme-Selbstmord“ verharmlost werden, sind Verbrechen, die nahezu ausschließlich von Männern begangen werden. Für Amokflüge, die offenbar häufiger vorkommen, als der Öffentlichkeit bewusst ist, gilt dasselbe.
Die Lufthansa sucht verzweifelt nach Massnahmen, um Katastrophen wie die mutmaßlich durch ihren Germanwings-Co-Piloten verursachte in Zukunft auszuschließen oder wenigstens unwahrscheinlicher zu machen. Auf das Nächstliegende - Frauenquote im Cockpit erhöhen - kommt niemand. Wieso nicht? Es wird derselbe blinde Fleck sein, der aus den beiden getöteten Lehrerinnen aus Haltern „Lehrer“ und aus den 14 getöteten Mädchen und zwei Jungen „16 Schüler“ macht.
Auch ganz unabhängig von Vorbeugungsmaßnahmen gegen weitere Katastrophen in der Luftfahrt ist die Erhöhung der Frauenquote im Cockpit richtig und längst überfällig. Die Lufthansa mit ihren 6% Frauen ist ja fast so schlimm wie die katholische Kirche.
Nachtrag am 30.3.2015, 20:58 Uhr
Die FemBio-Redaktion hat zunächst versucht, die Kommentare zu filtern, sich dann aber aus aufklärerischen und dokumentarischen Gründen dagegen entschieden und dafür beschlossen, die Kommentarfunktion am 1. April 2015 abzuschalten, um nicht vom Unflat gänzlich erdrückt zu werden. Der bis dahin angefallene Unflat wird dann auch wieder entfernt. Luise F. Pusch behält sich vor, sich in späteren Glossen aus diesem reichen Belegmaterial für männliches Denken zu bedienen.
Ende des Artikels von Luise Pusch
HEIDE OESTREICH ÜBER SCHLICHTEN FEMINISMUS BEIM GERMANWINGS ABSTURZ
taz vom 30. 3. 2015
Der Mann als Restrisiko
Mit einer Andrea wäre das nicht passiert. Andreas L. steuerte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit 150 Menschen in den Tod. Eine Frau hätte das nicht getan, suggeriert Linguistin Luise Pusch in der Emma. Der Pilot: ein Mann, die Schulklasse: 2 Lehrerinnen, 14 Mädchen und zwei Jungen, und schon lautet die Gleichung: Täter Mann, Opfer Frau. Subtrahiert man die Männer, dann gibt es keine Mordanschläge mehr.
Daran ist leider einiges zu kurz gedacht. Auf der Passagierliste stehen nicht nur 14 Schülerinnen, sondern 149 Männer und Frauen. Sogenannte „erweiterte Suizide“ werden nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen verübt. Und das Wichtigste: Seit Langem schon sind sich die meisten FeministInnen einig, dass nicht „die Männer“ das Problem sind, sondern welche Art von Männlichkeit in unserer Gesellschaft möglich ist.
Eine psychische Krankheit etwa ist in diesem Bild weiterhin nicht vorgesehen. Es könnte also sein, dass der Massenmord damit zu tun hat, dass Andreas L. den befürchteten Jobverlust durch seine Fluguntauglichkeit für unerträglich hielt – was auch mit seiner Vorstellung vom erfolgreichen Mann zu tun haben könnte. Aber Puschs Logik lautet: Männer sind gefährlich und müssen minimiert werden, indem man den Frauenanteil steigert. Warum dann nicht das Restrisiko Mann ganz ausschließen?
Luise Pusch hat für ihren Kommentar einen Shitstorm hinnehmen müssen. Der hat sicher auch etwas mit problematischer Männlichkeit zu tun. Aber die Forderung nach einer Frauenquote kann man nicht mit einer angeblichen weiblichen Überlegenheit begründen. Aus der Welt der Zuschreibungen von Eigenschaften müssen wir doch gerade herauskommen! Frau Pusch, die sonst so kluge Sprachanalytikerin, hat der Sache da einen Bärendienst erwiesen.
Ende des Kommentars von Heide Oestreichs
Schlicht, schlecht und bösartig – so bitte nicht!
Eine Entgegnung auf Heide Oestreichs Kommentar zu Luise Pusch
1991 hat keine geringere als Judith Butler in einem Sammelband einen Aufsatz veröffentlicht, den zu schreiben sie sich nach Reaktionen auf einen früheren Text von ihr gezwungen sah. Sie gab ihm den Titel „Für ein sorgfältiges Lesen“. Wie nötig diese, damals an feministische Wissenschaftlerinnen gerichtet Aufforderung ist, belegen nicht nur Shitstorm-Beiträge zu Luise F. Puschs Kommentar „Frauenquote fürs Cockpit“, sondern auch der Kommentar von Heide Oestreich in der taz vom 30.3.2015 „Der Mann als Restrisiko“.
Schon mit den ersten Sätzen beginnt die Schieflage, in die sich die Autorin hinein manövriert. „Mit einer Andrea wäre das nicht passiert. (...) Eine Frau hätte das nicht getan, suggeriert Linguistin Pusch.“ Nein, das tut Pusch nicht. Sie drückt sich viel vorsichtiger aus, wenn sie schreibt: „Die Lufthansa könnte (…) das Risiko, dass ihre Piloten das Flugzeug zu Selbstmord und vielfachem Mord missbrauchen, mit jeder Frau, die sie zur Pilotin ausbilden, ganz erheblich reduzieren.“ Das heißt gerade nicht, keine Frau hätte so etwas getan. Pusch bewegt sich auf dem Feld der Wahrscheinlichkeiten. Auch wenn sie ausdrücklich eine Frauenquote quasi als Katastrophen-Prophylaxe der Lufthansa zur Umsetzung vorschlägt, so tut sie es in dem Zusammenhang, dass Maßnahmen gesucht werden, die solche selbst-/mörderischen Handlungen in Zukunft ausschließen oder wenigstens unwahrscheinlicher machen. Nirgendwo sagt sie, dass Frauen dazu nicht fähig wären, verweist jedoch auf die Tatsache, dass Frauen unter den Amok Laufenden und „erweiterten SelbstmörderInnen“ eine kleine Minderheit darstellen. Wenn Oestreich hier also von Suggestion spricht, so kann sie nicht das meinen, was Luise Pusch gesendet hat, sondern das, was sie selbst darin gelesen, dazu assoziiert hat.
Noch weniger berechtigt ist Oestreichs nächste Aussage. „Der Pilot : ein Mann, die Schulklasse: 2 Lehrerinnen, 14 Mädchen und zwei Jungen, und schon lautet die Gleichung: Täter Mann, Opfer Frau.“ Damit löst sie Puschs Hinweis auf das Geschlecht der Opfer völlig aus dem Zusammenhang. Pusch zieht nämlich eine Parallele zwischen der Tatsache, dass niemand an frauenrelevante Maßnahmen denkt und der Tatsache, dass Frauen und Mädchen – ich ergänze: in einigen Medien – unsichtbar gemacht wurden, indem von Lehrern und Schülern gesprochen wurde. An Frauen wird nicht genug gedacht, so Puschs Schlussfolgerung. Oestreichs Schlussfolgerung, die ganz allein auf ihrem Mist gewachsen ist, lautet dagegen: „Subtrahiert man die Männer, dann gibt es keine Mordanschläge mehr.“ Eine 0% Männerquote hat jedoch niemand, auch Pusch nicht, gefordert. Das ist billige, böswillige Polemik gegen eine Feministin. Damit kann sich Oestreich des Beifalls aus vielen Ecken sicher sein.
Auch Oestreichs Rechnung, dass auf der Passagierliste (ich ergänze sowie der Liste der CrewmitarbeiterInnen) nicht nur 14 Schülerinnen sondern 149 Männer und Frauen stünden, läuft ins Leere, denn Pusch hatte sich lediglich auf diejenigen Personen bezogen, deren Geschlecht sprachlich ins männliche umgewandelt worden war.
Wenn Oestreich dann als Puschs Logik Folgendes formuliert: „Männer sind gefährlich und müssen minimiert werden, indem man den Frauenanteil steigert.“ - so trifft letzteres im Prinzip auf jede Frauenquotenforderung zu. Mehr Frauen in einem Bereich, in dem diese unterrepräsentiert sind, bedeutet automatisch weniger Männer in diesem Bereich. Nun denkt Oestreich dies weiter und fragt: „Warum dann nicht das Restrisiko Mann ganz ausschließen?“ Gegen eine solche Phantomforderung, die niemand je erhoben hat, Stimmung zu machen, ist tatsächlich sehr schlicht.
Das Wichtigste sei jedoch, so Oestreich, dass die meisten Feministinnen sich einig seien, dass nicht „die Männer“ das Problem sind, sondern welche Art von Männlichkeit in unserer Gesellschaft möglich ist. So weit, so gut. Aber mit den gesellschaftlich geforderten und geförderten Männlichkeiten müssen sich lebendige Menschen auseinandersetzen, ebenso wie mit den entsprechenden Weiblichkeiten. Folglich hat man es auch immer mit konkreten Personen zu tun, und die können sehr wohl zum Problem werden. Etwa wenn sie, Männer wie Frauen, mit ihren Ideologien für die traditionelle Ehe als einzige Lebensform Sturm laufen. Auch wenn sie als Individuen Männlichkeiten und Weiblichkeiten zum eigenen Schaden verinnerlichen, sei es als Magersüchtige, sei es als Selbstmörder. Dies ist dann problematisch nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für deren Umfeld und zum Teil Thema feministischer PsychotherapeutInnen.
Sehr daneben liegt Oestreich wenn sie behauptet: „die Forderung nach einer Frauenquote kann man nicht mit einer angeblichen weiblichen Überlegenheit begründen.“ Genau das ist jedoch seit einigen Jahren geschehen und wird mantraartig wiederholt, wenn es um die Forderung nach einer Frauenquote in Aufsichtsräten ging. So heißt es beispielsweise in der Berliner Erklärung vom Dezember 2011, die als Petition eingesetzt wurde:
„Die gleiche Beteiligung von Frauen an Entscheidungsgremien ist auch ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft. In gemischten Führungsgremien können Frauen und Männer zu besseren Entscheidungen kommen, gemischte Teams steigern den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen. Das belegen nationale und internationale Studien.“
An wem liegt es dann, wenn reine Männerteams nicht so effektiv arbeiten wie gemischte Teams? Man/frau kann nur schließen: Direkt oder indirekt an den Frauen, sei es, dass sie besser sind, sei es, dass sie ihre männlichen Kollegen anzuspornen verstehen. In jedem Fall doch wohl eine Überlegenheit von Frauen. Ich habe zu diesen Frauenquoten schon immer eine andere Position vertreten und diese Begründung kritisch gesehen. Aber in der taz habe ich dazu keine Kritik gefunden. Jetzt dagegen, wenn es offenbar darum geht, Luise Pusch zu diskreditieren, ist es nicht statthaft, mit einer Überlegenheit von Frauen zu argumentieren. Das kann ich nur als Messen mit zweierlei Maß bezeichnen.
Abschließend meint Oestreich: „Aus der Welt der Zuschreibungen von Eigenschaften müssen wir doch gerade herauskommen!“ Es gibt aber einen Unterschied zwischen Zuschreibungen, Klischees, Stereotypisierungen von Eigenschaften für die Geschlechter einerseits und statistischen Fakten andererseits, wie etwa die höhere Selbstmord- und Amoklaufrate von Männern. Es war immer eine feministische Forderung, geschlechtsspezifische Unterschiede zu erforschen, nach ihren Ursachen zu fragen und sich damit auseinanderzusetzen. Denn nur dann lassen sich erforderlichenfalls Gegenmaßnahmen ergreifen. Nur wenn beispielsweise bekannt ist, dass das Risiko, vom Partner Gewalt zu erleben, während einer Schwangerschaft oder bei einer Trennungsabsicht der Frau besonders hoch ist, können besondere Aufklärung und Beratungen, etwa von GynäkologInnen, ins Auge gefasst werden. Im Fall von Suizidgefährdung von Piloten werden ja bereits Überlegungen dazu angestellt, wie diese in psychologischen Routineuntersuchungen erkannt werden können. Das aber war nicht Puschs Thema.
Sicher kann man an dem Text von Luise Pusch zur Frauenquote im Cockpit Kritik anmelden. Aber dann doch bitte bezogen auf Aussagen, die Pusch auch tatsächlich getroffen hat und nicht auf angenommene Positionen. Auf alle Fälle aber sollte mit stichhaltigen Argumenten gekontert werden.
Das erwarte ich von gutem Journalismus.
Ursula G. T. Müller
2.4.2015